Ein Bewerbungsgespräch bewerten und dabei völlig objektiv bleiben – eine echte Herausforderung. Denn das Unterbewusstsein spielt auch mit. Wer jedoch weiß, wo die gedanklichen Fallstricke lauern, entscheidet besser und souveräner. Vom Halo-Effekt bis zum Schubladendenken: Diese typischen Beurteilungsfehler unterlaufen vielen Personalern unbewusst im Bewerbungsgespräch.
- So leicht kommt es zu Beurteilungsfehlern im Bewerbungsgespräch
- Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehler: In diese Fallen sollten Sie nicht tappen
- Bewerbungsgespräch bewerten: 4 Tipps für eine faire Beurteilung
So leicht kommt es zu Beurteilungsfehlern im Bewerbungsgespräch
Nach Abschluss der Gesprächsrunde geht die Arbeit erst richtig los: Sie müssen die Bewerbungsgespräche bewerten und eine Entscheidung treffen. Klingt nicht allzu kompliziert, ist für Recruiter aber immer wieder eine große Herausforderung. Jeder möchte den Bewerbern gegenüber fair und objektiv bleiben – dennoch ist das Bewerbungsgespräch die Phase der Mitarbeitersuche, in der Unternehmen die meisten Fehler unterlaufen. Meistens sind es klassische und größtenteils unbewusste Beurteilungsfehler, die zu einer falschen Bewertung von Bewerbern im Vorstellungsgespräch führen.
Sei es, dass zu nachsichtig oder zu streng geurteilt wird, der Personalentscheider Kandidaten allein aufgrund höherer Abschlüssen für geeigneter hält, oder dass zu viel Gewicht auf einzelne Eigenschaften oder Fähigkeiten des Bewerbers gelegt wird: Es ist nur menschlich, sich während der Interviews von subjektiven Gedanken ablenken zu lassen oder zu vorschnellen Urteilen zu kommen. Denn unser Gehirn filtert auch hier die vielen einströmenden Informationen, indem es vereinfacht und in Schubladen steckt.
Glücklicherweise lassen sich solche Beurteilungsfehler vermeiden, wenn sie einem bewusst sind.
Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehler: In diese Fallen sollten Sie nicht tappen
Beurteilungsfehler im Bewerbungsgespräch beruhen sehr häufig auf Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehlern. Oft kommt gar nicht so sehr darauf an, was ein Kandidat tut oder sagt – sondern darauf, wie er im Vergleich mit anderen wirkt. Oder ob er einfach nur das Glück (oder Pech) hatte, der erste oder der letzte Bewerber in der Reihe zu sein.
Beispiele für Beurteilungsfehler, bei denen die Reihenfolge der Bewerber eine Rolle spielt:
- Primacy-Recency-Effekt: Der erste und der letzte Bewerber, den die Personalentscheider an einem langen Tag mit vielen Gesprächen treffen, bleiben besonders in Erinnerung – und werden daher oft anders bewertet als die „Sandwich-Kandidaten”. Das kann sich positiv, aber auch negativ für sie auswirken.
- Reihenfolgen-Effekt: Der erste Bewerber macht gleich einen Top-Eindruck: Pech für alle anderen, denn sie haben es nun umso schwerer, den Personalentscheider von sich zu überzeugen – die Messlatte liegt unbewusst höher. Umgekehrt funktioniert es mit einem schwachen Kandidaten ebenso: Jetzt haben alle anderen bessere Chancen.
- Ein Kontrast-Effekt in Bezug auf die Reihenfolge stellt sich außerdem ein, wenn jeder Kandidat unbewusst mit seinem direkten Vorgänger und Nachfolger verglichen wird.
Beispiele für Beurteilungsfehler, bei denen von einzelnen Eigenschaften falsch auf die fachliche Eignung geschlossen wird:
- Halo-Effekt: „Halo” bedeutet Heiligenschein – und den bekommt der Bewerber im übertragenen Sinne aufgesetzt, wenn eines seiner Merkmale so ausgeprägt (positiv) erscheint, dass es alle anderen überstrahlt. Beispiel: Sehr attraktiven Bewerbern werden häufig automatisch auch höhere fachliche Kompetenzen zugesprochen.
- Pygmalion-Effekt: Auch bekannt als „Der erste Eindruck bleibt”: Schon die Art, wie der Kandidat den Raum betritt oder zur Begrüßung die Hand reicht, lässt den Personalverantwortlichen ein Urteil fällen. Während des Gesprächs versucht das Gehirn dann automatisch, diesen ersten Eindruck zu bestätigen – und konzentriert sich auf entsprechende Anhaltspunkte.
- Similar-to-me-Effekt: Der Bewerber hat an derselben Uni studiert wie der Recruiter oder er hat ähnliche persönliche Eigenschaften? Dann wirkt er gleich ein Stück sympathischer und eventuell auch kompetenter – ein typischer Beurteilungsfehler.
- Benjamin-Effekt: Sehr jungen Bewerbern wird im Vergleich weniger Fachkompetenz zugetraut als etwas älteren Kandidaten, die ein paar Jahre Berufserfahrung mehr mitbringen. Daher werden sie unterbewusst strenger beurteilt.
Weitere Beurteilungsfehler, zu denen viele Personalentscheider neigen:
- Schubladendenken: Kandidaten werden von vornherein auch nach ihrer sozialen Rolle beurteilt. Ein älterer Mann? Ist bestimmt nicht so fit, wenn es um moderne Technik geht. Eine jüngere Frau? Kann sich als Vorgesetzte eher schlecht behaupten. Welche Kompetenzen der Bewerber oder die Bewerberin wirklich mitbringt, geht dabei nahezu unter.
- Logikfehler: Nach dem „Wenn–Dann-Schema” zieht der Personalverantwortliche falsche Schlüsse aus dem Gesagten oder aus der Art, wie der Bewerber im Gespräch auftritt. Beispiel: Einem Kandidaten, der sich eher zurückhaltend präsentiert, wird ein geringes Durchsetzungsvermögen unterstellt.
- Lückenhafte Erinnerung: Niemand hat ein perfektes Gedächtnis. Viele Führungskräfte führen Dutzende von Bewerbungsgesprächen. Es kommt häufig vor, dass bei einer Vielzahl an Gesprächen Details vergessen oder ein Kandidat mit einem anderen verwechselt wird.
Bewerbungsgespräch bewerten: 4 Tipps für eine faire Beurteilung
Um solche Beurteilungsfehler zu vermeiden, ist der erste Schritt schon einmal entscheidend: sich bewusst zu machen, dass man nicht davor gefeit ist. Außerdem helfen folgende Tipps, eine faire Auswertung des Vorstellungsgesprächs zu gewährleisten und die richtige Bewerberauswahl zu treffen:
- Bewerbungsgespräche im Team führen – etwa bestehend aus HR-Manager, leitendem Angestellten und direktem Vorgesetzten. Alternative: Mehrere Gespräche – das erste beispielsweise mit dem Personalmanager, das zweite mit dem potenziellen direkten Vorgesetzten des Bewerbers.
- Standardisierte Fragen. Bevor Sie die erste persönliche Vorstellungsrunde mit Kandidaten organisieren, bereiten Sie eine Standardliste mit Fragen vor, die jedem Bewerber in derselben Reihenfolge gestellt werden. So vermeiden Sie es, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, denn die einzelnen Gespräche können sich nicht allzu sehr in unterschiedliche Richtungen entwickeln.
- Notizen machen. Schreiben Sie bei jedem Bewerbungsgespräch sorgfältig mit, damit Sie hinterher die Kandidaten gut vergleichen können und schnell merken, wenn Ihnen Informationen fehlen.
Alternative: Sie führen das Gespräch und konzentrieren sich ganz auf den Bewerber, jemand anders führt Protokoll. Wichtig: Erst einmal wird nur mitgeschrieben – die Bewertung folgt im nächsten Schritt. - Standardisierten Beurteilungsbogen nutzen und Bewerber nur nach diesen Kriterien vergleichen – objektiver geht es kaum. Alle am Gespräch beteiligten Kollegen füllen den Bogen für jeden Bewerber einzeln aus, anschließend wird verglichen und gegebenenfalls diskutiert. Welches Kriterium wie stark gewichtet wird, legen Sie vorher fest.
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