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Moderne Unternehmen legen Wert auf die Meinung Ihrer Beschäftigten. Denn die wissen oft genau, wo die Schwachstellen im Betrieb sind. Ideale Voraussetzung für eine funktionierende Speak-up-Kultur sind Psychological Safety und ein anonymes Hinweisgebersystem.

Speak-up-Kultur braucht Psychological Safety

Früher zählte in Unternehmen meist nur eins: der Standpunkt der Geschäftsleitung. Was die Belegschaft dachte, spielte kaum eine Rolle. Das hat sich geändert. Modernes Management legt zunehmend Wert auf die Ansicht der Beschäftigten und ermutigt sie sogar dazu, sich zu internen Belangen zu äußern. Die Forderung lautet: Speak up! Auf Deutsch: Sagen Sie uns Ihre Meinung – offen und ehrlich! Aber warum ist diese Herangehensweise mittlerweile so gefragt?

Hinter dem Richtungswechsel steht die Erkenntnis, dass Betriebe stark von der Erfahrung und Sichtweise ihrer Belegschaft profitieren können. Denn die …

  • kennt viele praktische Abläufe besser als manche Vorgesetzte.
  • weiß, wo Schwachstellen sind und wie sich diese beheben lassen.
  • ist mit den Kolleg*innen und deren Bedürfnissen bestens vertraut.
  • hat ein gutes Gespür für Missstände und die Stimmung im Unternehmen.

Um daraus einen Nutzen zu ziehen, brauchen Führungskräfte nicht nur ein offenes Ohr. Vielmehr sollten sie mit Kritik umgehen und diese gegebenenfalls umsetzen können. Dem Speak-up muss nämlich das Listen-up, also aufmerksames und aktives Zuhören, folgen. Das bedingt, dass die Beschäftigten ihre Meinung bereitwillig und unverfälscht äußern. Und zwar frei von Ängsten und drohenden Repressalien. Dafür müssen Vorgesetzte die Voraussetzungen schaffen.

Der Fachbegriff dafür lautet Psychological Safety. Gemeint ist damit die psychologische Sicherheit, Bedenken, Missstände und Fehlverhalten offen ansprechen zu dürfen. Dazu gehören neben Problemen bei Abläufen und in Projekten unter anderem Verstöße gegen den Datenschutz und IT-Richtlinien, illegale Preisabsprachen, Diebstähle oder Bestechung. Eine gute Speak-up-Kultur sorgt dafür, dass dahingehende Meldungen möglich sind, ohne dass die Hinweisgeber*innen dafür bestraft werden oder anderweitig Nachteile erfahren.

Eine interne Studie von Google hat ergeben, dass Psychological Safety die wichtigste Grundlage für erfolgreiche Teams ist. Denn in diesen können die einzelnen Mitglieder ihre Meinung sagen, ohne in eine heikle Situation zu geraten.

Warum ist das von so großer Bedeutung? Weil es den meisten Menschen wichtig ist, wie andere ihre Kompetenz, ihre Haltung und ihre Einstellung wahrnehmen. Daraus ergibt sich oft eine Art von Selbstschutz am Arbeitsplatz, der einer effektiven Teamarbeit abträglich ist. Herrscht hingegen eine Atmosphäre von Psychological Safety, fühlen sich die Beschäftigten untereinander sicherer und gestehen eher eigene Fehler ein oder übernehmen andere Rollen im Team.

Ob in Ihrem Unternehmen bereits eine offene Speak-up-Kultur herrscht, können Sie laut Google an den folgenden vier Merkmalen erkennen:

  • Mitarbeitende trauen sich mehr zu.
  • Mitarbeitende sprechen öfter (eigene) Probleme an.
  • Mitarbeitende stellen mehr Fragen.
  • Mitarbeitende geben eher Schwächen zu.

In der allgemeinen Praxis kann sich das beispielsweise so äußern:

  • In Meetings kommen mehr Ideen zur Sprache.
  • Fehlschläge werden offen diskutiert.
  • Die Beschäftigten zeigen mehr Engagement.
  • Die Bereitschaft im Team steigt an, ungewohnte und schwierige Aufgaben zu übernehmen.
  • Missstände (Diskriminierung, Belästigungen oder Mobbing) werden eher thematisiert.

Aus der Untersuchung ergab sich für Google, dass Personen in Teams mit höherer Psychological Safety …

  • … das Unternehmen mit geringerer Wahrscheinlichkeit verlassen,
  • … eher gute Ideen anderer akzeptieren oder auch selber aufgreifen,
  • … mehr Umsatz erzielen und
  • … von Führungskräften doppelt so oft als effektiv eingestuft werden.

Zusammengefasst: Psychological Safety dient dank kritischer Rückmeldung dem geschäftlichen Erfolg, schafft eine vertrauensvolle Arbeitsumgebung, sorgt für motivierte, zufriedene Mitarbeitende und stärkt die Produktivität.

Speak-up-Kultur einführen nach der APE-Methode

Es lohnt sich also, eine gute Speak-up-Kultur im Unternehmen zu fördern, zu schützen und zu schätzen. Im Vorteil sind Organisationen, die bereits ein funktionierendes Feedback-System besitzen. Denn dort weiß man bereits, dass derartige Mechanismen nur erfolgreich sind, wenn das Management sie uneingeschränkt unterstützt. Anders ausgedrückt: Psychological Safety muss Teil der Unternehmenskultur sein.

Wie sich das erreichen lässt, hängt stets von den individuellen betrieblichen Bedingungen ab. Grundsätzlich ist die Implementierung nach dem sogenannten APE-Modell ratsam. Dabei stehen die drei großen Buchstaben für Awareness schaffen, Prozesse einführen und Engagement fördern.

  1. Awareness schaffen: Wer Psychological Safety im Unternehmen etablieren will, braucht dafür einen inhaltlichen Rahmen. Ausgangspunkt ist eine Erklärung (Code of Conduct), die die Werte und die Haltung nach innen sowie außen zusammenfasst. Sie muss grundsätzlich den Stellenwert und Umgang mit Themen wie Diversität, Chancengleichheit oder Gesetzesverstöße darstellen und einordnen. Und sie sollte auch zeigen, dass die Verletzung entsprechender Richtlinien Konsequenzen hat. Gleichzeitig gehört ein klares Bekenntnis zur Psychological Safety. Dieses Regelwerk sollten sämtliche Beschäftigte – angestammte wie neue – lesen und unterzeichnen. Flankierende Maßnahmen, wie Lehrgänge, helfen, das Bewusstsein für eine Speak-up-Kultur zu schärfen.
  2. Prozesse einführen: Anschließend braucht es ein praktisches System, das Meinungsäußerungen ermöglicht. Dazu gehören geeignete Abläufe und Anlaufstellen für die Beschäftigten. Diese müssen sicher sein, dass ihre Kritik vertraulich aufgenommen und an die verantwortlichen Personen weitergereicht wird. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, Führungskräfte hinsichtlich des Umgangs mit Psychological Safety in Lehrgängen zu schulen.
  3. Engagement fördern: Die Beschäftigten sollten dazu ermuntert werden, ihre Meinung zu sagen. Dabei ist es ratsam, unterschiedliche Mentalitäten zu berücksichtigen. Während manche Menschen offensiv mit der Speak-up-Kultur umgehen, sind introvertiertere Charaktere eher zurückhaltend. Es bedarf also auch niederschwelliger Angebote, die die Meinungsäußerung erleichtern.

Speak-up-Kultur ist Work in Progress

Die APE-Methode lässt sich durch eine Reihe von Elementen und Aktivitäten erweitern beziehungsweise unterstützen. Ganz wichtig sind beispielsweise neutrale Vertrauensleute, die als Anlaufstelle für die Beschäftigten dienen. Zu diesem Kreis können Mitglieder des Betriebsrats gehören, interne Compliance-Beauftragte oder auch Mitglieder der Personalabteilung. Sie sollten idealerweise Teil eines digitalen und anonymen Hinweisgebersystems sein, das eine unerkannte Meldung von Problemen, Fehlverhalten oder Gesetzesverstößen gewährleistet. So brauchen sich Mitarbeitende keine Sorgen um persönliche Konsequenzen zu machen.

Übrigens: Ein anonymes Hinweisgebersystem ist auch im Zusammenhang mit der EU-Whistleblower-Richtlinie ratsam, die Tippgeber*innen vor Nachteilen schützen soll. Es gilt derzeit für Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten und ab 17. Dezember 2023 für Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten. Deutschland hat das System allerdings noch nicht eingeführt (Stand: Juni 2022).

Psychological Safety sollte stetig an neue Gegebenheiten und Anforderungen angepasst werden. Wo Nachholbedarf besteht, lässt sich beispielsweise über regelmäßige Feedback-Gespräche feststellen oder über anonyme Umfragen im Unternehmen.

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